Armut ist hier greifbar

Im Rahmen der ökumenischen Initiative „Gemeinden laden ein!“ bieten evangelische und katholische Kirchengemeinden in Dortmund sonntags ein Frühstück für Menschen am Rande unserer Gesellschaft an. An fünf Sonntagen im Winter öffnet das ObdachlosenKaffee St. Reinoldi seine Pforten. Rund 150 Gäste begrüßte die Leiterin Monika Dürger an diesem Sonntag in der warmen Reinoldikirche, darunter zwei Landtagsabgeordnete.

Anja Butschkau und Nadja Lüders nahmen eine Einladung von Dürger zum Mithelfen und zum Kennenlernen des ObdachlosenKaffees an. Sie sind angesichts des Engagements der 25 Ehrenamtlichen, darunter mehrere Konfirmanden, sichtlich beeindruckt. „Hier wird jeder mit offenen Armen und viel Wärme im Herzen aufgenommen und akzeptiert wie er ist“, beschreibt Butschkau, die an diesem Tag ein Tagespraktikum im ObdachlosenKaffee macht, die liebevolle Atmosphäre. Selbst die Tische sind mit viel Liebe gedeckt.

Mit ihrem Praktikum wolle Butschkau einen Einblick in die Lebensrealität der Menschen bekommen. „Armut ist unter uns und sie hat in den letzten Jahren zugenommen.“ Leider werde das von vielen Politikerinnen und Politikern nicht ernst genommen. „Jens Spahn könnte hier viel über materielle Armut und, welche Auswirkungen sie auf die Menschen hat, lernen.“

Der neue Bundesgesundheitsminister behauptete vor wenigen Tagen, HartzIV bedeute keine Armut. „Erst wenn man sieht, wie sich Menschen über ein simples Brot freuen, das man ihnen in die Hand drückt, versteht man, unter welchen materiellen Bedingungen Menschen in unserem Land leben. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen von Lebensmittelspenden der Tafeln abhängig sind und welche sozialen Spannungen sich dort gerade entwickeln, stellt man fest, dass Sozialleistungen nicht zum Leben reichen.“

„Unser Angebot richtet sich nicht nur an Obdachlose, sondern generell an Menschen, die unsere Unterstützung brauchen. Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut führt oft dazu, dass sich die Leute auch seelisch nicht wohl fühlen. Bei uns können sie sich in einem geschützten Raum begegnen“, erzählt Monika Dürger. Das ObdachlosenKaffee bietet neben Kaffee und belegten Brötchen auch ein musikalisches Angebot und Zeit für Gespräche an.

Dürger macht die wachsende Schere zwischen Arm und Reich Sorge. „Deutschland ist eines der reichsten Länder. Es ist ein Skandal, wenn sich Unternehmen massiv bedienen können, während für die Ärmsten in unserer Gesellschaft das Geld zum Leben nicht ausreicht. Diese Entsolidarisierung unserer Gesellschaft ist auch eine Gefahr für die Demokratie, wie es auch der Bundespräsident richtig sieht.“

Nadja Lüders, Mitglied des Sozialausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag, sieht enormen Handlungsbedarf bei Bund, Ländern und Kommunen. „Von 2011 bis 2016 ist allein die Zahl der Obdachlosen in Dortmund von 116 auf 663 gestiegen. Und das sind nur diejenigen, die von Stadt und Obdachlosenhilfe registriert wurden.“ Die Dunkelziffer sei hoch, da viele Obdachlose in Dortmund durch das soziale Netz fallen, sei es weil sie aufgrund ihrer Herkunft keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Grundsicherung haben oder weil das Vertrauen zum öffentlichen Hilfesystem fehle.

„Rot-Grün hatte in NRW einen präventiven Ansatz entwickelt, mit dem erst gar nicht zu Wohnungslosigkeit kommen sollte. Dieser Ansatz muss fortgesetzt werden.“ Dafür brauche es aber auch einen grundlegenden Wandel in der Sozialpolitik. Lüders: „Wir brauchen genügend bezahlbaren Wohnraum.“ Leider priorisiere die Mitte-Rechts-Regierung in Düsseldorf aber momentan den Eigenheimbau für Familien mit gesicherten Einkommen.

Das größte Armutsrisiko bliebe aber Langzeitarbeitslosigkeit. „Die Menschen brauchen eine Perspektive. Zum Beispiel über einen sozialen Arbeitsmarkt“, so Lüders. In diesem würden auch Menschen einen Platz finden, die von der Wirtschaft bereits abgeschrieben wurden. Sie sehe es daher positiv, dass die große Koalition in Berlin Maßnahmen zur Eingliederung in den sozialen Arbeitsmarkt im Sozialgesetzbuch verankern will.

2 Gedanken zu „Armut ist hier greifbar

  1. Die Armut ist mittlerweile überall spürbar und es muss sich dringend etwas dagegen tun. Es wird immer nur darüber gesprochen, aber Veränderungen, um diese Situation aus dem Weg zu schaffen, werden auch nicht vorgenommen.

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